hiemssmeih

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Es ist ein totgeschwiegenes Thema und zugleich liegt es trotzdem auf der Hand: Ein großer Teil Prostatakrebs-Betroffener muss im Tunnel seiner Erkrankung unter anderem auch Depressionen gegenübertreten. Die erschreckende Zahl an Menschen, die hieran leiden, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. Nicht zuletzt bleibt allerdings die Frage, wie man damit umgehen soll - eine Frage, die aktuell auch heiß im größten Englisch-sprachigen Prostatakrebs-Forum Reddits diskutiert wird. Dutzende Nutzer teilen hier ihre Erfahrungen und reflektieren, was ihnen geholfen hat, ihre Bedrücktheit zu überwinden. (Hinweis! Dieser Text beinhaltet sensible Inhalte zum Thema Depressionen.)

„Die Diagnose war die Sahne auf der Torte.“

Je weiter fortgeschritten die Erkrankung, desto höher scheint das Risiko für Depressionen. Und selten ist die Erkrankung das erste, das uns beschäftigt. Herausforderungen in der Beziehung, ein anstrengender Job und erkrankte Familienmitglieder sind leider für viele Alltag. Die Schwermut, die mit der Diagnose einhergeht, ist dabei in den Worten eines Betroffenen daher schon von Beginn an bereits die Sahne auf der Torte der Bedrücktheit, dem Päckchen, das man zu tragen hat. Erektile Dysfunktion und Inkontinenz als Behandlungsnebenwirkungen durch Strahlentherapie und Prostatektomie sind die Kirsche auf der Torte. Und wer damit immer noch nicht satt sei, dürfe sich an den Schokostreuseln der Hormontherapie erfreuen. Das Eingeständnis, dass ein Leben ohne Prostatakrebs angenehmer wäre, ist dabei der wichtige erste Schritt.

„Ich habe den Eindruck, dass ich immer in ihrer Schuld stehe, ohne etwas zurückgeben zu können.“

Wenn es darum geht, welche konkreten Gedanken sie belasten, schreiben Nutzer vor allem über ihre Familie und insbesondere ihre jeweilige Partnerin. Die Betroffenen erzählen, dass sie ihren Frust emotional und verbal mit ihren Frauen teilen und hoch schätzen, welche Anteilnahme sie an ihrer Erkrankung sowie den damit einhergehenden Gefühlen zeigen. Dieses Wissen bereitet ihnen schlechtes Gewissen und sie überlegen, die Bürde auf sich allein zu nehmen – ein Fehler, darüber scheint jedenfalls Einigkeit. „Die Menschen um dich herum spüren deine Stimmung. Ganz gleich, ob du das willst oder nicht. Mittlerweile weiß ich: Über meine Gefühle zu reden, erleichtert mich.“ Die Partnerin am eigenen Innenwesen teilhaben zu lassen, fühlt sich schlecht an. Doch sie nicht daran teilhaben zu lassen, fühlt sich noch schlechter an. Um dieser Lose-Lose-Situation zu entkommen, entscheiden sich viele Betroffene für gemeinsame Therapie – um Gefühle kontrolliert auszulassen und zu sortieren. So blicken nicht wenige Paare Jahre später auf die schwierigen Zeiten in positiver Erleichterung zurück und verstehen jene gemeinsamen Herausforderungen als Gelegenheit, ihren jeweiligen Partner kennenzulernen – ganz ungefiltert.

“Jeder aus meiner Krebs-Selbsthilfegruppe, der in Hormontherapie war, hat an Depressionen gelitten und von Medikamenten profitiert.”

Eine Studie von Alwhaibi et al. legt nahe, dass sich das ohnehin bereits erhöhte Risiko, an Depressionen zu leiden, nochmal verdoppelt, wenn Betroffene auf Hormontherapie umsteigen. Wie viele Hormon-behandelte Betroffene tatsächlich an Depressionen leiden, ist schwer zu sagen, da die Intensität stark variiert und insbesondere die Gruppe älterer Männer eine hohe Dunkelziffer vermuten lässt. Im Weiteren berichten mehrere Nutzer, dass ihnen Medikamente gegen Depressionen vor allem in Kombination mit Therapie geholfen haben, wobei einer überrascht äußert, Antidepressiva würden für ihn anders wirken als anfangs gedacht. So schreibt er, dass er die Wirkung seines Medikaments entgegen seiner Intuition persönlich kaum selbst spürt und er sie vielmehr indirekt über positives Feedback vonseiten seines Umfelds bemerkt.

Hierzu sei erwähnt, dass die intermittierende Anwendung der Hormontherapie, bei der man immer nur dann Medikamente einnimmt, wenn der Hormonspiegel einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, eine nachgewiesen bessere Lebensqualität mit sich bringt als das kontinuierliche Gegenstück, bei der man unabhängig vom Hormonspiegel regelmäßig medikamentiert. So soll sowohl die mentale Gesundheit als auch die Potenzfunktion bei der intermittierenden Variante signifikant besser sein. Folglich ist es ratsam, im Falle von starken Nebenwirkungen der kontinuierlichen ADT seinen Arzt aufzusuchen und sich nach Optionen zur intermittierenden Form zu erkundigen. Auch generell stehen in manchen Fällen aus ärztlicher Sicht mehrere verschiedene Medikamente zur Auswahl. Auch hierbei darf man sich als Patient beim Arzt zu den jeweiligen Nebenwirkungen informieren und seine Bedürfnisse äußern.

„Ich kann nicht anders, als mich zu fühlen, als wäre ich nicht genug, weniger als ein Ganzes, weniger als ein Mann.“

Ein weiterer Betroffener schreibt auf Reddit, er hätte zuletzt am Tag vor seiner OP zufriedenstellenden Sex gehabt. Seither seien fünf Jahre vergangen. Er kämpft mit zu schwacher Erektion und fühlt sich darum, als laste ein Gefühl von schwerer Traurigkeit, Verzweiflung und Depression auf ihm. Insbesondere, weil er in der Vergangenheit immer sehr stolz gewesen war, seine Partnerin zufriedenzustellen, kämpft er nun mit seinem Selbstwertgefühl. Die Community rät, dass man, wenn man auf penetrativen Sex hohen Wert legt, alle Wege – von Pillen über Penisringe und Vakuumpumpen bis hin zu Implantaten – intensiv ausschöpfen soll. Auch herrscht Konsens darüber, dass man sich nicht scheuen solle, alle Arten von Therapien in Anspruch zu nehmen, um die Dinge in eine bessere Richtung lenken. Insbesondere die Verbindung zwischen Körper und Geist sei essenziell beim Sex, ganz unabhängig davon, ob man Prostatakrebs hat oder nicht.

Tatsächlich ist es vollkommen normal, dass die männliche Identität sehr stark mit der sexuellen Identität verbunden ist – der Mensch hat nun mal Bedürfnisse, die seine Willkür übersteigen. Prof. Dr. Michaela Bayerle-Eder, die Präsidentin der österreichischen Gesellschaft für Sexualmedizin, äußert sich diesbezüglich im kürzlich veröffentlichten Interview [Link Interview 4] mit PATIO. Sie betont, die Erregung sei ein integraler Bestandteil der männlichen Identität. Wenn diese nun im Rahmen einer Erkrankung oder einer Therapie verloren gehe, dann verändere sich auch die männliche Identität und der Mann ziehe sich aus der Beziehung zurück. Das wirke sich sehr negativ auf die Beziehung aus, da infolgedessen für die Partnerin das Bild entstehe, sie sei nicht mehr gewollt. Sie empfiehlt deswegen, parallel zur medizinisch notwendigen Behandlung bereits frühzeitig an seiner sexuellen Selbstsicherheit zu arbeiten. Mögliche Ansprechpartner sind hierfür Sexualberater:innen, Physiotherapeut:innen, Psychotherapeut:innen und natürlich Sexualmediziner:innen. Konkrete Adressen findest Du unter anderem hier:

www.telefonseelsorge.at, Tel. 142

www.maennerinfo.at - Telefonische Krisenberatung, Tel. 0800 400 777 

maennernotruf.at - Bei Krisen aller Art, Tel. 0800 246 247 

Abschließende Worte

Eine einheitliche Lösung für die Behandlung von Depressionen gibt es nicht. Auslöser können unterschiedlich sein, so auch die Symptome. Fest steht, dass Depressionen vor allem bei Männern oft übersehen werden. Um darauf aufmerksam zu machen, findet aktuell in der Woche des internationalen Vatertags die Gesundheitswoche für psychische Gesundheit bei Männern statt. Es ist wichtig, seine Gefühle ernst zu nehmen und im Falle anhaltender Depressionen professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Lasst uns aufeinander aufpassen!

Mittwoch, 21 Mai 2025 13:29

Lenka Martinak, MSc

- BSc in Biomedical Science, MSc MedTech
- Projektkoordinatorin
- Strategie, Umsetzung, Kommunikation

Freitag, 22 November 2024 14:44

Mein (Lebens-)weg mit Krebs

Erfahrungsbericht

Die Vorbereitungen laufen – am Samstag feiern wir den 10. Geburtstag unserer Tochter, der erste zweistellige Geburtstag. Alle sind aufgeregt … heute ist aber schon der richtige Geburtstag.

Ich muss noch telefonieren – die Befundbesprechung der Prostatabiopsie habe ich telefonisch vereinbart … ich bleibe im Auto vor dem Haus sitzen und wähle die Nummer und behalte dann nur noch Gesprächsfetzen im Kopf … „Ihr Befund ist leider nicht so ausgefallen, wie erhofft“ … „von 10 Stanzen sind acht positiv“ … alles weitere weiß ich nicht mehr so genau … ja, ich habe Kommunikationserfahrung … ich werde mich schon gut aus dem Gespräch „rausgeredet“ haben; will alleine sein, will nachspüren, was das jetzt für mich bedeutet … es ist meine zweite Krebsdiagnose – bei der ersten habe ich entschieden, es für mich zu behalten, alleine zu kämpfen, alleine zu kotzen, alleine zu weinen – dafür auch, alleine mich zu freuen, wie ich dann Jahr für Jahr überlebt habe. Und die Zeit dazwischen habe ich mein Unwohlsein, meine Zurückgezogenheit oft mit einem „… das ist eine andere Geschichte …“ gegenüber den Menschen abgetan, die sich um mich sorgten.

Ich bin jetzt zuhause – das bunte Treiben der Kinder umgibt mich; „Geburtstagsfeeling“ liegt in der Luft … meine Tochter ist so glücklich, groß zu sein … sie umarmt mich fest und fragt, wo denn mein Geburtstagsgeschenk für sie sei … ich habe Tränen in den Augen, bin durcheinander … ja, oh Gott, ich habe es im Auto liegen gelassen … ich geh´ zurück und gehe einmal, zweimal … um den Häuserblock und versuche, eine Strategie zu finden … wie möchte ich es diesmal angehen? Ist das die zweite Chance, von der man so oft spricht … wieso habe ich zwei Krebsdiagnosen in meinem Leben und keinen einzigen Lottogewinn … das ist nicht fair! Ich stehe wieder vor der Wohnungstür … komme jetzt unentdeckt bis in das Esszimmer, wo meine Frau schon den Geburtstagstisch hergerichtet hat. Ich stelle mein Geschenk dazu …  und möchte was sagen, da fällt mir meine Frau ins Wort „Hast angerufen, der Befund ist okay?“ … und in einem Bruchteil einer Sekunde treffe ich die Entscheidung, diesmal nicht alleine sein zu wollen, gemeinsam die Stärke zu suchen und nicht erst Jahre später die Freund:innen und damals, meine Frau, noch als meine Freundin einzuweihen … und so sage ich mit größter Zuversicht, wie es mir im Moment möglich ist … „Leider nein, ich habe Prostatakrebs, einen ziemlich aggressiven dazu, aber ich werde es schaffen, wie schon einmal …“ 

Aber an diesem Tag wurde der 10. Geburtstag unserer Tochter gefeiert – dieser Tag gehört ihr und nicht der Krebsdiagnose. Erst zehn Tage später haben meine Frau und ich die Kinder sowie die Familie informiert, nachdem restliche Fragen und Details geklärt waren. Wie gesagt, für einen 10. Geburtstag gibt es keine zweite Chance, der ist einmalig, aber Krebsdiagnosen können öfters passieren – leider.

Sieben Jahre später – ich bin so dankbar, meine Tochter - meine Kinder - aufwachsen zu sehen! Ihr Älterwerden bedeutet, leben zu können, leben zu dürfen, für mich! Ich bin auch dankbar gegenüber der Medizin, dass diese oft noch ein Ass im Ärmel hat, wenn es von den Labor-Werten her knapp wird. Und ich bin liebevoll dankbar für meine Frau, die dem Spruch, den ich in einer Selbsthilfegruppe gehört habe, Lügen straft: „Die Prostata ist das Herz des Mannes!“. Nein, das Herz eines liebenden Mannes ist das Herz der tiefen Verbundenheit und des Vertrauens zu seiner Frau, seiner Partnerin, die es dann gemeinsam schaffen, neue Dimensionen der Liebe abseits der Sexualität zu finden.

Mag. Thomas Fröhlich // Sozialwissenschaftler, Diplom-Sozialarbeiter, Mediator

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