hiemssmeih

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Mittwoch, 21 Mai 2025 13:29

Lenka Martinak, MSc

- BSc in Biomedical Science, MSc MedTech
- Projektkoordinatorin
- Strategie, Umsetzung, Kommunikation

Freitag, 22 November 2024 14:44

Mein (Lebens-)weg mit Krebs

Erfahrungsbericht

Die Vorbereitungen laufen – am Samstag feiern wir den 10. Geburtstag unserer Tochter, der erste zweistellige Geburtstag. Alle sind aufgeregt … heute ist aber schon der richtige Geburtstag.

Ich muss noch telefonieren – die Befundbesprechung der Prostatabiopsie habe ich telefonisch vereinbart … ich bleibe im Auto vor dem Haus sitzen und wähle die Nummer und behalte dann nur noch Gesprächsfetzen im Kopf … „Ihr Befund ist leider nicht so ausgefallen, wie erhofft“ … „von 10 Stanzen sind acht positiv“ … alles weitere weiß ich nicht mehr so genau … ja, ich habe Kommunikationserfahrung … ich werde mich schon gut aus dem Gespräch „rausgeredet“ haben; will alleine sein, will nachspüren, was das jetzt für mich bedeutet … es ist meine zweite Krebsdiagnose – bei der ersten habe ich entschieden, es für mich zu behalten, alleine zu kämpfen, alleine zu kotzen, alleine zu weinen – dafür auch, alleine mich zu freuen, wie ich dann Jahr für Jahr überlebt habe. Und die Zeit dazwischen habe ich mein Unwohlsein, meine Zurückgezogenheit oft mit einem „… das ist eine andere Geschichte …“ gegenüber den Menschen abgetan, die sich um mich sorgten.

Ich bin jetzt zuhause – das bunte Treiben der Kinder umgibt mich; „Geburtstagsfeeling“ liegt in der Luft … meine Tochter ist so glücklich, groß zu sein … sie umarmt mich fest und fragt, wo denn mein Geburtstagsgeschenk für sie sei … ich habe Tränen in den Augen, bin durcheinander … ja, oh Gott, ich habe es im Auto liegen gelassen … ich geh´ zurück und gehe einmal, zweimal … um den Häuserblock und versuche, eine Strategie zu finden … wie möchte ich es diesmal angehen? Ist das die zweite Chance, von der man so oft spricht … wieso habe ich zwei Krebsdiagnosen in meinem Leben und keinen einzigen Lottogewinn … das ist nicht fair! Ich stehe wieder vor der Wohnungstür … komme jetzt unentdeckt bis in das Esszimmer, wo meine Frau schon den Geburtstagstisch hergerichtet hat. Ich stelle mein Geschenk dazu …  und möchte was sagen, da fällt mir meine Frau ins Wort „Hast angerufen, der Befund ist okay?“ … und in einem Bruchteil einer Sekunde treffe ich die Entscheidung, diesmal nicht alleine sein zu wollen, gemeinsam die Stärke zu suchen und nicht erst Jahre später die Freund:innen und damals, meine Frau, noch als meine Freundin einzuweihen … und so sage ich mit größter Zuversicht, wie es mir im Moment möglich ist … „Leider nein, ich habe Prostatakrebs, einen ziemlich aggressiven dazu, aber ich werde es schaffen, wie schon einmal …“ 

Aber an diesem Tag wurde der 10. Geburtstag unserer Tochter gefeiert – dieser Tag gehört ihr und nicht der Krebsdiagnose. Erst zehn Tage später haben meine Frau und ich die Kinder sowie die Familie informiert, nachdem restliche Fragen und Details geklärt waren. Wie gesagt, für einen 10. Geburtstag gibt es keine zweite Chance, der ist einmalig, aber Krebsdiagnosen können öfters passieren – leider.

Sieben Jahre später – ich bin so dankbar, meine Tochter - meine Kinder - aufwachsen zu sehen! Ihr Älterwerden bedeutet, leben zu können, leben zu dürfen, für mich! Ich bin auch dankbar gegenüber der Medizin, dass diese oft noch ein Ass im Ärmel hat, wenn es von den Labor-Werten her knapp wird. Und ich bin liebevoll dankbar für meine Frau, die dem Spruch, den ich in einer Selbsthilfegruppe gehört habe, Lügen straft: „Die Prostata ist das Herz des Mannes!“. Nein, das Herz eines liebenden Mannes ist das Herz der tiefen Verbundenheit und des Vertrauens zu seiner Frau, seiner Partnerin, die es dann gemeinsam schaffen, neue Dimensionen der Liebe abseits der Sexualität zu finden.

Mag. Thomas Fröhlich // Sozialwissenschaftler, Diplom-Sozialarbeiter, Mediator

Libidoverlust, Hitzewallungen, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen und Veränderung der Körperform samt Brustvergrößerung, Fettzunahme und Muskelschwund – die Nebenwirkungen der Hormontherapie (auch ADT genannt) erinnern stark an die Menopause der Frau. Das liegt daran, dass der „typisch männliche“ Testosteron-Spiegel gesenkt wird, um die Testosteron-abhängigen Prostatakrebszellen an ihrem Wachstum zu hindern. Wenig tröstlich für das männliche Selbstbild ist hierbei wohl, dass mehr oder weniger die gleiche Therapie auch transidente bzw. transsexuelle Personen erfahren, die eine körperliche Entwicklung vom Mann zur Frau durchleben. Sie benutzen die gleichen Medikamente und erleben teils die gleichen Nebenwirkungen.

Wo also liegt der Unterschied?

Nun, der größte Unterschied liegt darin, dass der Grund für die Therapie nicht unterschiedlicher sein könnte. Während die einen ihren Krankheitsverlauf verbessern wollen, versuchen die anderen ihrem Selbstbild gerecht zu werden. Was also für die eine Person lediglich Nebenwirkungen sind, ist für die jeweils andere das eigentliche Ziel der Therapie. Darüber hinaus erfolgt die Medikation bei Prostatakrebs nur für wenige Jahre, wohingegen Mann-zu-Frau-Transsexuelle ein Leben lang darauf angewiesen sind. Letztlich sei auch noch gesagt, dass die Unterdrückung des Testosteronspiegels lediglich ein Teil der Gesamttherapie bei Transsexualität ist. Hinzu kommt dabei nämlich noch die wesentlich entscheidendere Verabreichung des „weiblichen“ Östrogens, die bei der Prostatakrebs-Hormontherapie nicht erfolgt.

Studie zur Wahrnehmung von Männlichkeit bei Prostatakrebs

Dass Patienten infolge der Prostatakrebs-Hormontherapie nach wie vor Männer sind, ist biologisch unumstritten. Sie haben ein funktionales Y-Chromosom. Sie haben einen männlichen Körper samt Prostata. Sie haben alles, was es braucht, um ein Mann zu sein. Die einzigen, die sich darüber manches Mal unsicher sind, sind sie selbst. Eine Studie zur verkörperten Erfahrung und Wahrnehmung von Männlichkeit bei Prostatakrebs aus dem Jahr 2002 beschreibt nämlich genau das: Männer, die hormonell behandelt werden, fühlen sich oft unmännlich. Doch nicht nur das. Auch die Nebeneffekte der Prostatektomie und der Radiotherapie werden von vielen Betroffen als unmännlich wahrgenommen. Nebenwirkungen wie Impotenz und Inkontinenz werden in diesem Kontext oft als Preis verstanden, den sie fürs Überleben zahlen müssen. Besonders spannend ist zudem die Tatsache, dass es noch nicht einmal zu irgendeiner Form der Behandlung kommen muss, dass solch innere Zweifel auftreten. Für viele Männer ist generell körperliche Arbeit ein integraler Teil ihrer Selbstauffassung, weswegen bereits Müdigkeit und Energieverlust für viele ein Problem darstellen. Und schon allein die Suche nach medizinischer Unterstützung stimmt vielen Männern zufolge nicht mit ihrer Auffassung überein, „ein Indianer kenne keine Schmerzen“, um es in den Worten unserer Co-forschenden Ehefrau eines verstorbenen Betroffenen zu sagen.

Doch bedeutet „Mann sein“ alles in allem nicht vielmehr, seiner Verantwortung nachzugehen, sich um sich selbst zu kümmern, um in weiterer Folge auch für seine Familie, Freunde und Umfeld da sein zu können? Neben allem Gesagten möchten wir einmal mehr betonen, dass Betroffene im Laufe ihrer Erkrankung zwar durchaus manches Opfer darbringen müssen, ihre Männlichkeit ist jedoch keines davon.


Quelle:

Chapple, Alison, and Sue Ziebland. "Prostate cancer: embodied experience and perceptions of masculinity." Sociology of Health & Illness 24.6 (2002): 820-841.

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