Libidoverlust, Hitzewallungen, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen und Veränderung der Körperform samt Brustvergrößerung, Fettzunahme und Muskelschwund – die Nebenwirkungen der Hormontherapie (auch ADT genannt) erinnern stark an die Menopause der Frau. Das liegt daran, dass der „typisch männliche“ Testosteron-Spiegel gesenkt wird, um die Testosteron-abhängigen Prostatakrebszellen an ihrem Wachstum zu hindern. Wenig tröstlich für das männliche Selbstbild ist hierbei wohl, dass mehr oder weniger die gleiche Therapie auch transidente bzw. transsexuelle Personen erfahren, die eine körperliche Entwicklung vom Mann zur Frau durchleben. Sie benutzen die gleichen Medikamente und erleben teils die gleichen Nebenwirkungen.
Wo also liegt der Unterschied?
Nun, der größte Unterschied liegt darin, dass der Grund für die Therapie nicht unterschiedlicher sein könnte. Während die einen ihren Krankheitsverlauf verbessern wollen, versuchen die anderen ihrem Selbstbild gerecht zu werden. Was also für die eine Person lediglich Nebenwirkungen sind, ist für die jeweils andere das eigentliche Ziel der Therapie. Darüber hinaus erfolgt die Medikation bei Prostatakrebs nur für wenige Jahre, wohingegen Mann-zu-Frau-Transsexuelle ein Leben lang darauf angewiesen sind. Letztlich sei auch noch gesagt, dass die Unterdrückung des Testosteronspiegels lediglich ein Teil der Gesamttherapie bei Transsexualität ist. Hinzu kommt dabei nämlich noch die wesentlich entscheidendere Verabreichung des „weiblichen“ Östrogens, die bei der Prostatakrebs-Hormontherapie nicht erfolgt.
Studie zur Wahrnehmung von Männlichkeit bei Prostatakrebs
Dass Patienten infolge der Prostatakrebs-Hormontherapie nach wie vor Männer sind, ist biologisch unumstritten. Sie haben ein funktionales Y-Chromosom. Sie haben einen männlichen Körper samt Prostata. Sie haben alles, was es braucht, um ein Mann zu sein. Die einzigen, die sich darüber manches Mal unsicher sind, sind sie selbst. Eine Studie zur verkörperten Erfahrung und Wahrnehmung von Männlichkeit bei Prostatakrebs aus dem Jahr 2002 beschreibt nämlich genau das: Männer, die hormonell behandelt werden, fühlen sich oft unmännlich. Doch nicht nur das. Auch die Nebeneffekte der Prostatektomie und der Radiotherapie werden von vielen Betroffen als unmännlich wahrgenommen. Nebenwirkungen wie Impotenz und Inkontinenz werden in diesem Kontext oft als Preis verstanden, den sie fürs Überleben zahlen müssen. Besonders spannend ist zudem die Tatsache, dass es noch nicht einmal zu irgendeiner Form der Behandlung kommen muss, dass solch innere Zweifel auftreten. Für viele Männer ist generell körperliche Arbeit ein integraler Teil ihrer Selbstauffassung, weswegen bereits Müdigkeit und Energieverlust für viele ein Problem darstellen. Und schon allein die Suche nach medizinischer Unterstützung stimmt vielen Männern zufolge nicht mit ihrer Auffassung überein, „ein Indianer kenne keine Schmerzen“, um es in den Worten unserer Co-forschenden Ehefrau eines verstorbenen Betroffenen zu sagen.
Doch bedeutet „Mann sein“ alles in allem nicht vielmehr, seiner Verantwortung nachzugehen, sich um sich selbst zu kümmern, um in weiterer Folge auch für seine Familie, Freunde und Umfeld da sein zu können? Neben allem Gesagten möchten wir einmal mehr betonen, dass Betroffene im Laufe ihrer Erkrankung zwar durchaus manches Opfer darbringen müssen, ihre Männlichkeit ist jedoch keines davon.
Quelle:
Chapple, Alison, and Sue Ziebland. "Prostate cancer: embodied experience and perceptions of masculinity." Sociology of Health & Illness 24.6 (2002): 820-841.