Die Vorbereitungen laufen – am Samstag feiern wir den 10. Geburtstag unserer Tochter, der erste zweistellige Geburtstag. Alle sind aufgeregt … heute ist aber schon der richtige Geburtstag.
Ich muss noch telefonieren – die Befundbesprechung der Prostatabiopsie habe ich telefonisch vereinbart … ich bleibe im Auto vor dem Haus sitzen und wähle die Nummer und behalte dann nur noch Gesprächsfetzen im Kopf … „Ihr Befund ist leider nicht so ausgefallen, wie erhofft“ … „von 10 Stanzen sind acht positiv“ … alles weitere weiß ich nicht mehr so genau … ja, ich habe Kommunikationserfahrung … ich werde mich schon gut aus dem Gespräch „rausgeredet“ haben; will alleine sein, will nachspüren, was das jetzt für mich bedeutet … es ist meine zweite Krebsdiagnose – bei der ersten habe ich entschieden, es für mich zu behalten, alleine zu kämpfen, alleine zu kotzen, alleine zu weinen – dafür auch, alleine mich zu freuen, wie ich dann Jahr für Jahr überlebt habe. Und die Zeit dazwischen habe ich mein Unwohlsein, meine Zurückgezogenheit oft mit einem „… das ist eine andere Geschichte …“ gegenüber den Menschen abgetan, die sich um mich sorgten.
Ich bin jetzt zuhause – das bunte Treiben der Kinder umgibt mich; „Geburtstagsfeeling“ liegt in der Luft … meine Tochter ist so glücklich, groß zu sein … sie umarmt mich fest und fragt, wo denn mein Geburtstagsgeschenk für sie sei … ich habe Tränen in den Augen, bin durcheinander … ja, oh Gott, ich habe es im Auto liegen gelassen … ich geh´ zurück und gehe einmal, zweimal … um den Häuserblock und versuche, eine Strategie zu finden … wie möchte ich es diesmal angehen? Ist das die zweite Chance, von der man so oft spricht … wieso habe ich zwei Krebsdiagnosen in meinem Leben und keinen einzigen Lottogewinn … das ist nicht fair! Ich stehe wieder vor der Wohnungstür … komme jetzt unentdeckt bis in das Esszimmer, wo meine Frau schon den Geburtstagstisch hergerichtet hat. Ich stelle mein Geschenk dazu … und möchte was sagen, da fällt mir meine Frau ins Wort „Hast angerufen, der Befund ist okay?“ … und in einem Bruchteil einer Sekunde treffe ich die Entscheidung, diesmal nicht alleine sein zu wollen, gemeinsam die Stärke zu suchen und nicht erst Jahre später die Freund:innen und damals, meine Frau, noch als meine Freundin einzuweihen … und so sage ich mit größter Zuversicht, wie es mir im Moment möglich ist … „Leider nein, ich habe Prostatakrebs, einen ziemlich aggressiven dazu, aber ich werde es schaffen, wie schon einmal …“
Aber an diesem Tag wurde der 10. Geburtstag unserer Tochter gefeiert – dieser Tag gehört ihr und nicht der Krebsdiagnose. Erst zehn Tage später haben meine Frau und ich die Kinder sowie die Familie informiert, nachdem restliche Fragen und Details geklärt waren. Wie gesagt, für einen 10. Geburtstag gibt es keine zweite Chance, der ist einmalig, aber Krebsdiagnosen können öfters passieren – leider.
Sieben Jahre später – ich bin so dankbar, meine Tochter - meine Kinder - aufwachsen zu sehen! Ihr Älterwerden bedeutet, leben zu können, leben zu dürfen, für mich! Ich bin auch dankbar gegenüber der Medizin, dass diese oft noch ein Ass im Ärmel hat, wenn es von den Labor-Werten her knapp wird. Und ich bin liebevoll dankbar für meine Frau, die dem Spruch, den ich in einer Selbsthilfegruppe gehört habe, Lügen straft: „Die Prostata ist das Herz des Mannes!“. Nein, das Herz eines liebenden Mannes ist das Herz der tiefen Verbundenheit und des Vertrauens zu seiner Frau, seiner Partnerin, die es dann gemeinsam schaffen, neue Dimensionen der Liebe abseits der Sexualität zu finden.
Mag. Thomas Fröhlich // Sozialwissenschaftler, Diplom-Sozialarbeiter, Mediator